Gedanken

Bitte erwarte nichts – oder doch?

Kennst du diesen Satz? „Bitte erwarte nichts.“ Oder: „Ich möchte nicht, dass du mit Erwartungen an die Sache gehst.“

Diesen Satz hört man oft – und jedes Mal löst er etwas in mir aus.
Bevor ich meine Sicht teile, möchte ich das Wort „Erwartung“ erst einmal mit meinen eigenen Worten beschreiben.

Erwartungen – sie sind überall

Ob wir wollen oder nicht: Wir leben mit Erwartungen. Jeden Tag.

Wir erwarten, dass unser Chef uns am Monatsende bezahlt.
Wir erwarten, dass ein Auto bei Rot stehen bleibt, wenn wir bei Grün über die Straße gehen.
Wir erwarten, dass Freunde ehrlich zu uns sind und uns nicht ausnutzen.
Und wir erwarten, dass jemand hilft, wenn wir um Hilfe bitten.

Für mich bedeutet „Erwartung“ nichts anderes als Verbindlichkeit, Aufrichtigkeit, Sicherheit – und ja, auch Hoffnung.
Das ist keine Definition aus dem Duden, sondern meine persönliche Sicht der Dinge.

Warum sagen Menschen „Erwarte nichts“?

Schon lange frage ich mich:
Warum sagen Menschen diesen Satz?

Ist es falsch zu hoffen?
Falsch zu glauben, dass jemand seine Worte ernst meint?
Oder können Menschen heute einfach nicht mehr verbindlich sein?

Vielleicht wollen sie sich selbst schützen. Vielleicht auch den anderen.
Aber seien wir ehrlich – in einer Zeit, in der wir Hoffnung so dringend brauchen, sollten wir sie nicht kleinreden.

Oder geht es am Ende einfach darum, keine Verantwortung für das eigene Wort zu übernehmen?

Eine kleine Geschichte

Stell dir vor:
Du gehst regelmäßig einkaufen, immer an dieselbe Kasse.
Jedes Mal schenkt dir die Kassiererin ein herzliches Lächeln.
Nach Wochen nimmst du all deinen Mut zusammen, gibst ihr beim Bezahlen einen kleinen Zettel mit deiner Nummer – und gehst.

Ein paar Tage später:
„Hi, hier ist Rachel von der Kasse.“
Dein Herz schlägt schneller. Jackpot!

Ihr schreibt, ihr telefoniert, redet über Gott und die Welt.
Eure Gespräche werden vertrauter, wärmer, ehrlicher.
Ihr lacht, teilt Geschichten, zeigt echtes Interesse.
Vielleicht sogar ein bisschen Sehnsucht, wenn das Handy abends stumm bleibt.

Dann kommt sie, die große Frage:
„Wollen wir uns treffen?“

Ihr verabredet euch – vielleicht auf einen Kaffee, ins Kino, zum Essen.
Und plötzlich sagt sie:
„Aber bitte… erwarte nichts.“

Was heißt das eigentlich?

Was soll das bedeuten?
Soll ich nicht erwarten, dass es schön werden könnte?
Dass wir lachen, dass es knistert, dass da etwas entstehen könnte?

Ich rede hier nicht von körperlicher Nähe – sondern von menschlicher.
Von echten Momenten, von Gestik, Mimik, vom gegenseitigen Spüren.

Wenn mir jemand sagt „Erwarte nichts“, fühlt sich das an, als hätte alles vorher Gesagte plötzlich keinen Wert mehr.
Als wären all die Gespräche, das Interesse, die Offenheit – nur ein Zeitvertreib gewesen.

Ich habe Erwartungen. Punkt.

Ja, ich habe Erwartungen.
Und ich finde, das ist nichts Schlechtes.

Ich erwarte, dass mein Chef mich bezahlt.
Ich erwarte, dass ein Freund mir zuhört.
Und wenn ich mich mit jemandem treffe, erwarte ich Ehrlichkeit und echtes Interesse.

Denn genauso dürfen andere auch Erwartungen an mich haben.
Ich bin bereit, sie zu erfüllen – so weit es in meiner Macht steht.
Und wenn ich etwas nicht kann, sage ich das offen.
Aber ich schließe es nicht einfach aus, nur um mich selbst zu schützen.

Ohne Erwartung keine Hoffnung

Vielleicht klingt das altmodisch.
Vielleicht auch naiv.
Aber ich glaube:
Wer keine Erwartungen mehr hat, hört irgendwann auf zu hoffen.
Und ohne Hoffnung verliert selbst das Schönste seine Tiefe.

Also ja – ich erwarte etwas.
Weil es bedeutet, dass mir etwas wichtig ist.
Weil es zeigt, dass ich Glauben habe – an Worte, an Menschen, an Begegnungen.

Und genau das macht das Leben doch aus, oder?

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